Nötigung!
Lufthansa will AbschiebegegnerInnen mundtot
machen
Dass die Deutsche Lufthansa AG mit kritischen Stimmen nicht zimperlich umzugehen pflegt, durfte schon die Süddeutsche Zeitung erleben. Als den
Konzernchefs die Berichterstattung über den Pilotenstreik nicht zusagte, nahmen sie das Blatt einfach aus dem Bordprogramm. Nun versucht der Konzern,
eine Kampagne mundtot zu machen, die seit zwei Jahren ein Ende der Abschiebungen mit Lufthansa-Maschinen fordert. Stellvertretend für die
AbschiebegegnerInnen wird die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) e.V. und die Solidaritätsinitiative Libertad! durch die
Lufthansa mit Anzeigen und massiven Strafandrohungen überzogen.
Schätzungsweise 10.000 Abschiebungen jährlich" werden, so Unternehmenssprecher Thomas Jachnow, mit den Linienmaschinen des Konzerns
abgewickelt. Das antirassistische Netzwerk kein mensch ist illegal versuchte
deshalb mit einer Kampagne "Stop Deportation Class" einen Ausstieg aus
dem Abschiebegeschäft zu erreichen. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und amnesty international sowie die ÖTV und die Pilotenvereinigung
Cockpit bedrängten den Konzernvorstand, auf die umstrittenen Abschiebungen zu verzichten. Aber Lufthansa blieb hart.
Die AbschiebegegnerInnen ließen sich nicht entmutigen und griffen zu unkonventionellen Methoden. Parallel zur Aktionärsversammlung des Konzerns
am 20. Juni diesen Jahres veranstaltete kein mensch ist illegal zusammen mit
Libertad! die bundesweit erste Online-Demonstration bei www.lufthansa.com.
Die virtuelle Protestaktion, die am 10. Mai 2001 ordnungsgemäß beim Ordnungsamt in Köln angemeldet worden war, fand ein breites Medienecho und
wurde von insgesamt 150 Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingsräten aus dem
In- und Ausland unterstützt. Da sich über 13.000 Menschen an dem originellen
Protest beteiligten, geriet der Webserver des Unternehmens in Schwierigkeiten: Die Lufthansa-Homepage war zeitweise nicht mehr erreichbar.
Aber anstatt nun aus der breiten Kritik die Konsequenz zu ziehen, verlegte sich der Konzern darauf, den unbequemen AbschiebegegnerInnen mit der Macht
des Geldes den Garaus zumachen.
Lufthansa ist jedes Mittel recht
Jüngstes Beispiel: die Initiative Libertad! Nach einer Anzeige des Konzerns brachen am 17. Oktober 2001 Beamte der politischen Polizei die Büroräume der
Gruppe auf und beschlagnahmten sämtliche Computer sowie zahlreiche Festplatten, CDs und Dokumente. Auch vor der Wohngemeinschaft des
Verantwortlichen der von der Gruppe betriebenen Internetdomains machte die Polizei nicht halt: Hier nahm sie sechs Computer sowie über hundert CDs mit.
Im Frankfurter Dritte-Welt-Haus, in dem sich die Büroräume von Libertad! befinden, wurden die Eingangstür eingeschlagen und die Türen aller übrigen
dort ansässigen Initiativen aufgebrochen - bis auf jene von amnesty international. Hintergrund: Weil der Lufthansa durch die über 1,2 Millionen
Seitenaufrufe während der Online-Demo nicht näher ausgewiesener wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, wertet die Polizei die
Online-Aktion als "Nötigung" und die Erklärung der 150 aufrufenden
Gruppen als "Anstiftung zu Straftaten".
"Das ist ein Angriff auf die Demonstrationsfreiheit", protestiert die Aktivistin Anne Morell, die die Online-Demo am 10. Mai 2001 beim Ordnungsamt
Köln angemeldet hatte. "Es ist skandalös, dass 13.000 DemonstrantInnen zu
Kriminellen gestempelt werden, während gleichzeitig ein Unternehmen, das aus
Abschiebungen Profit schlägt, im Internet seinen Geschäften nachgehen kann."
Im Zuge der aktuellen "Anti-Terror-Pakete" scheint der direkte Draht zwischen einem finanzstarken Privatkonzern und dem Amtsgericht Frankfurt
sowie der politischen Polizei kürzer denn je geworden zu sein. So meinte Thomas Jachnow, Pressesprecher von Lufthansa, bereits 48 Stunden nach der
Razzia auf Nachfrage der taz zu wissen, dass die Durchsuchungen "sehr erfolgreich" verlaufen seien. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft bekräftigte
ebenfalls, die Ermittlungen auch auf "einen Teil" der Online-DemonstrantInnen ausweiten zu wollen, da über die so genannte
IP-Nummer, die jeder Rechner besitzt, die Identität der DemonstrationsteilnehmerInnen ermittelt werden könne, wie die Berliner
Zeitung am 19. Oktober berichtete.
"Das virtuelle Sit-in vor dem Lufthansa-Portal war ein öffentlicher Akt
des zivilen Ungehorsams gegen das menschenverachtende Abschiebegeschäft", so
hält Anne Morell dagegen. "Wir verzichteten dabei bewusst auf jede Form
etwaiger ,elektronischer Hasskappen`, wie sie jederzeit durch frei im Internet verfügbare Verschlüsselungsprogramme technisch machbar gewesen
wären. Wenn der Staatsschutz nun meint, im Nachhinein den öffentlichen Protest kriminalisieren zu müssen oder gar in abstruser Weise versuchen
sollte, in der Menge der DemonstrantInnen vermeintliche digitale, Rädelsführer` zu konstruieren, so werden wir dem mit einer öffentlichen
Ausweitung unserer Kampagne begegnen."
Nicht ganz so spektakulär, aber dennoch hartnäckig hatte die Lufthansa AG schon im Mai diesen Jahres versucht, die in Berlin ansässige
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) unter Druck zu setzen. Die
FFM, die für ihre fundierten und kritischen Recherchen im Bereich deutscher
und europäischer Flüchtlingspolitik bekannt ist, fungierte bis Ende des Jahres 1998 als offizielle zentrale Postadresse der Kampagne kein mensch ist
illegal. Als solche ist sie - trotz offiziellen Widerrufs der FFM - nach wie
vor verschiedentlich im Internet zu finden. Seit Mai versucht die Lufthansa dem gemeinnützigen Verein per Einstweiliger Verfügung den Betrieb der
"Deportation-class"-Sites zu verbieten. Für die Zuwiderhandlung droht
der tölpelhafte Kranich mit einem Ordnungsgeld von einer halben Million Mark. Beanstandet hatte Lufthansa, dass zwei Bilder von Piloten ihres Hauses zur
Gestaltung einer abschiebekritischen Seite verwendet werden . Die FFM konnte
in einem ersten Verfahren vor dem Frankfurter Landgericht glaubhaft machen, dass sie weder die inkriminierten Seiten betreibt noch Einfluss auf deren
Gestaltung hat. Die Einstweilige Verfügung wurde abgelehnt.
Gelassenheit in Berlin und Frankfurt
So weit, so gut, dachte man zunächst im Berliner Mehringhof. Doch nun ist die Lufthansa vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in Berufung gegangen. Das
wiederum zeigt, dass der Großkonzern von den verschiedenen Aktionen der AbschiebungsgegnerInnen wohl empfindlich getroffen wurde. Verpatzte
Aktionärsversammlungen, eine Online-Demo und allerlei dem Image wenig zuträglicher Internet-Spaß haben die Verantwortlichen wohl ins Schwitzen
gebracht. Die FFM jedenfalls - so ist in Berlin zu erfahren - sieht der Berufungsverhandlung gelassen entgegen.
Johannes Junge
ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455
/25.10.2001
Die Initative Libertad! braucht dringend materielle Unterstützung, um ihre Arbeit weiterführen zu können. Neben der unmittelbaren Anschaffung von neuen
Computern wird mittelfristig auch ein Fonds für Prozess- und Anwaltskosten von Nöten sein. Wer seine Unterstützung erklären möchte, setze sich mit
Libertad! in Verbindung (online-demo@gmx.net, http://go.to/online-demo)
und/oder Spende auf das Konto: Förderverein Libertad! e.V., Ökobank BLZ 50090100, Konto-Nr. 20215810, Stichwort: "Online-Demo"